2021-03-01
Wir befinden uns in der Provinz, wo David Séchard seinem geizigen Vater eine nicht sehr gut gehende Druckerei abkauft. Ein Schulkamerad, Lucien Chardon, soll mitarbeiten, fühlt sich aber zu Höherem berufen, denn er ist Dichter. Und verliebt sich schnell in die erste Dame des Ortes, Naïs de Bargeton, die natürlich ein paar Jährchen älter und verheiratet ist. Die lässt sich das gern gefallen und Lucien darf in Gesellschaft seine Gedichte vortragen. Die Dame hat noch einen Verehrer, den „Reiher“, den sie später nach dem Ableben des Gatten auch heiraten wird. Zunächst aber gibt es einen kleinen Skandal, da Lucien vor seiner Angebeteten auf den Knien liegend ertappt wird. Der Gatte schlägt sich nicht etwa mit Lucien, sondern mit der Petze. Daraufhin fliehen L & N nach Paris. Lucien, nicht ohne sich vorher von seinem Freund, Geld geliehen zu haben, und nicht einmal die Hochzeit der Schwester mit Freund abwartend. Und damit endet der erste Teil, der „Die zwei Dichter“ heißt, wobei mir sehr, nein völlig, unklar ist, wer der zweite sein soll. Denn David ist kein Dichter, sondern Erfinder.
In Paris nun verlieren unsere Liebenden ihre ersten Illusionen, zunächst die über den jeweils anderen. Lucien, der sich nach seiner Mutter de Rubempré nennt, wird als Sohn eines Apothekers entlarvt, und ist damit gesellschaftlich erledigt, noch bevor es so richtig losgeht, und Madame lässt ihn fallen. Zum Glück.
Das Geld ist natürlich weg, und nun muss sich Lucien mit einem Leben auf der anderen Seite der Gesellschaft anfreunden. Was ihm aber gut gelingt. Auch für 20 Sous, lernen wir, kann man in Paris zu der Zeit anständig essen. Er lernt neue Freunde kennen, die ihn darin bestärken, die schriftstellerische Laufbahn einzuschlagen. Immerhin hat er neben seinen Gedichten auch noch einen historischen Roman im Gepäck, der mal als an Walter Scott angelehnt, mal als einzigen nicht an Scott angelehnten historischen Roman bezeichnet wird. Beinahe gelingt es ihm, ihn zu verkaufen.
Schließlich aber, und nun beginnt das Drama, verdingt er sich als Journalist, zum Entsetzen der Freunde. Es beginnt mit einer schönen Theaterkritik, und hier, das muss man Balzac lassen, wird nicht einfach behauptet, dass die Kritik glänzend geschrieben ist, wir dürfen sie lesen. Und sie ist glänzend! Wir erleben den Aufstiegs unseres Helden. Er darf sich eine schöne Schauspielerin als Geliebte halten. Nun tobt sich Balzac richtig aus und wir erfahren eine Menge über den Journalismus, und wie immer sehr viel darüber, was es kostet Pariser zu sein, im wörtlichen wie im übertragenden Sinn. (Das ist sicher alles hervorragend, aber gerade hier verliert mich das Genie ein wenig.)
Der Fall lässt aber nicht lange auf sich warten, denn durch die Aussicht, vom König den Namen der Mutter legitim zu erhalten, wechselt er das Lager, schreibt eine böse Kritik gegen seinen besten Freund, (die dieser aber noch redigiert), verliert alles, inklusive der Geliebten, die schnell wegstirbt und fälscht Wechsel, die seinen Freund David in Schuldgefängnis bringen. Und so muss er zu Fuss in die Heimat zurückkehren.
Die Schwester führt unterdessen, wir sind jetzt im dritten Teil, die Druckerei, während der Schwager versucht, billiges Papier zu erfinden. Es gibt die böse Konkurrenz und einen schurkischen Advokaten, auch ein Schulkamerad, einen verräterischen Angestellten der Druckerei und zwei treue Mitarbeiter. Lucien ist bestrebt, den Schaden, den er angerichtet hat, wieder gut zu machen, aber leider ohne Erfolg, und so glaubt er, aus dem Leben gehen zu müssen. Zum Glück tritt gerade rechtzeitig ein Priester auf (nichts gegen Deus ex Machina, aber das hier ist ein wenig zuviel). Lucien will sich zunächst nicht trösten lassen, denn er, der Priester glaube an die Gebote der Kirche, während er selbst Atheist sei. Und hier, der einsame Höhepunkt des Romans: „Sie sind Atheist? Wahrhaftig! das ist eine der Sehenswürdigkeiten, die ich in Paris aufsuchen wollte. Wir in Spanien glauben nicht an die Atheisten...“
Schließlich wird die Druckerei verkauft, und das Patent. David und seine reizende Frau, Ève, dürfen den Rest ihres Lebens in bescheidenem Wohlstand verbringen.
Wie so oft, bei Balzac, frage ich mich, wie der Mann es fertig brachte, sich komplexe Geschichten auszudenken, mit beißender Ironie und stahlhartem Scharfsinn gesellschaftliche Zustände zu beschreiben, nach Belieben alle paar Seiten lebenskluge Maximen einzustreuen, die allein seinen Ruhm ausmachen würden, und sich dabei so oft mit holzschnittartigen Figuren zu begnügen. Der geizige Vater ist so geizig, das er kaum als Parodie durchgeht. David und Ève herzensgut, wobei David mir auf die Nerven ging, Ève nicht. Eigentlich ist bis auf Lucien keine der Figuren wirklich lebendig.
Und wie immer bei Balzac, frage ich mich, wie der Mann, nur mit Zettelkasten, ein solches Universum aufbauen konnte. Rastignac und Blondet und Blancheon und des Toules und Florine und jede Menge Bekannter treten auf, und bis auf Rastingnac habe ich keine Idee, wer die sind. Obwohl ich weiß, dass ich ihnen allen schon (häufiger) begegnet bin. Ich nehme an, dass auch das seinen tieferen Sinn hat.
761/8
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