Liedzeit

Anthropolis I

2023-09-18

Am Anfang betritt ein älterer Herr die Bühne und erzählt uns die Vorgeschichte. Wie Zeus in Gestalt eines weißen Stiers Europa entführt. Der Vater der Schönen schickt nun seine Söhne in die Welt, die Schwester zu suchen. Das tun sie vergeblich. Einem davon, Kadmos, wird endlich aufgetragen, stattdessen einer Kuh zu folgen bis diese elendiglich zusammenbricht. Um an dieser Stelle eine Stadt zu gründen. Dazu muss er auch noch einen Drachen töten, dem er die Zähne zieht; und aus jenen Zähnen erwachsen fünf nackte Männer, die nun die Stadt, die einmal Theben sein wird, zu erbauen. Symbolischerweise laufen die Männer nun mit immerhin nacktem Oberkörper auf der Bühne herum und schieben mit Schneeschaufeln Mist hin und her. Einer der Männer wird von Lina Beckmann verkörpert. Personal ist knapp. Und außerdem müssen auch noch eine Schar Kinder auf die Bühne gebracht werden und ein Pferd.

Außerdem liegt die ganze Zeit ein weißer Stier auf der Bühne, nicht etwa die Kuh. Der Prolog ist vorbei. War doch gar nicht so schlimm, oder? Fragt Frau Beckmann kumpelhaft das Publikum. Und weil es nun schließlich immerhin um Dionysos geht, dürfen sich in der Pause nun die Zuschauer betrinken. „Für Umme“. Naja, nur die Frauen. Und eigentlich nur fünf. Zum Glück stimmt das auch nicht, und ein Gläschen gönnt sich darum auch der Rezensent. (Frau Beckmann muss das Publikum, während auf der Bühne der Mist weggeräumt wird für den zweiten Teil, bei Laune halten mit einer Weinprobe, wie sie Didi Hallervorden nicht besser hätte performen können.)

Was passiert nun? Eine der Töchter des Kadmos wird von Zeus geschwängert und bringt den Dionysos zur Welt. Den schnappt sich Zeus und trägt ihn vorsichtshalber im Oberschenkel noch einmal aus. Um Hera zu täuschen. Wird uns gesagt. Was soll dieser Scheiß? Fragen die Protagonisten. Als wären wir im Grips-Theater. Und genauso wird uns erzählt, dass der neue Gott natürlich auch ein „Betätigungsfeld“ brauche. Er sucht sich das schöne Feld Saufen/Tanzen/Ficken aus. Und gründet einen Kult. Leider wird er von den Bewohnern der Stadt, Kadmos und besonders dem inzwischen an der Macht befindlichen Enkel, Pentheus, nicht anerkannt. Ist Dionysos denn wirklich ein Sohn des Zeus? Womöglich ist der Vater doch nur Starkstromelektriker. Oder gar Schauspieler.

Dionysos ist beleidigt. Und rächt sich nun so. Die Frauen werden in ein Tal geführt und unter Dauerdroge gesetzt. Dem König (schauspielerisch Klasse: Kristof Van Boven) erscheint Dionysos in Verkleidung und redet auf ihn ein. Der darf auf besagtem Pferd über die Bühne reiten. Endlich lässt er sich überreden, sich das Geschehen im Tal persönlich anzusehen. Als Frau verkleidet natürlich. Dazu zieht er einen roten Slip über die Unterhose, eine Perücke auf und Stifeletten an. Perfekt. Ab ins Tal.

Leider wird die folgende Action nun wieder wie im Hörspiel von einem der Akteure zusammengefasst. (Zwei Dutzend Menschen müssen vorher noch uninspiriert auf Trommeln einschlagen.) Pentheus wird von der eigenen Mutter zerfetzt. Die schleppt den Kopf des Sohnes hinter sich herziehend triumphierend auf die Bühne zurück, da sie glaubt, einen Löwen erlegt zu haben. Der Vater mit sechs Eimern in den Händen, die die übrigen Reste des wackeren Königs enthalten, klärt sie auf. Daraufhin schiebt sie für die verbleibenden zehn Minuten des Stücks irre die Eimer hin und her.

Kadmos erklärt dem Dionysos, dass er ihn nunmehr anbete. Doch zu spät. Dionysos verkündet, dass die Mutter ins Exil müsse, der alte Kadmos sich aber in einen Drachen zu verwandeln habe. Ob, das denn nicht eine zu harsche Strafe sei, möchte der noch wissen. Nein, sagt Dionysos, das sei mit Zeus so abgesprochen.

Schön. Und was lernt uns das? Wie man früher so fragte. Anspruch des Events ist immerhin nicht weniger als Zivilisationskritik, wie man las. Dass man Götter gefälligst nicht verhöhnen soll! Und wenn man nun sehr wohlwollend wäre, würde man sagen, dass das in einer dialektischen Spannung zu den vorher getätigten Binnenaussagen steht, wonach dieser ganze mythologische Stoff doch eigentlich Scheiße sei. Man kann allerdings auch der Ansicht sein, dass das alles insgesamt unausgegorender Mist ist. Und dieser Rezensent tendiert zu der zweiten Auffassung.

Schauspielhaus – Regie: Karin Beier


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