Liedzeit

Die Vaterlosen

2024-06-12

Anna Petrowna (Wiebke Puls) muss ihr Gut versteigern lassen. Grund genug, vorher noch eine Party zu geben. Unter den Gästen Michail Wassiljewitsch Platonow, auf den das Publikum quälende 10 Minuten warten muss. Denn der wird gespielt von Joachim Meyerhoff und nimmt wie erhofft auch gleich praktisch die gesamte Bühne für sich ein.

Nicht, dass die anderen Schauspieler richtig schlecht wären. Er ist einfach nur unvergleichlich besser. An seinem Text kann es eigentlich nicht liegen. Zwar klingt es immer so, als habe er gerade etwas Originelles oder Substanzielles gesagt. Aber eigentlich tut er es gar nicht. In einer Szene wird das sogar persifliert. Anna fordert ihn auf, etwa Originelles zu sagen. Ihm fällt nur ein, sie schön zu finden. Ansonsten Attitüde und Plattitüde. Auch das musste man als Zuschauer nicht selbst herausfinden, es wurde von zwei Alten (Muppet-Show) vorgegeben. Die dürfen sich miteinander unterhalten, werden dazu auf der Bühne hereingedreht und wieder herausgedreht. Alles ironisiert. Wenn die über die Vaterlosigkeit reden (eine Metapher, da sie Väter hatten) und darüber, dass heute zum Beispiel das Wort Kriegstüchtigkeit wieder als positiv besetzte Vokabel benutzt wird, dann soll das ja nicht als bejammernd oder gar belehrend herüberkommen. Und Meyerhoff ironisiert das durch seine Kommentare noch mehr. Immerhin gibt es sogar Szenenapplaus als die beiden sich darüber beschweren, dass man nicht mehr alles sagen dürfe. Ein Beispiel dafür geben sie vorsichtshalber nicht.

Platonow ist verheiratet. Mit Kind. Und als Vater, sagt er, habe er so schöne Dinge zu tun wie zu fragen, was denn wohl die Schuhe mitten im Flur herumliegend sollen? Und Dorfschullehrer ist er. Irgendwie hätte er wohl mehr aus seinem Leben machen sollen und können. Vielleicht hat er ja die Ablehnung der schönen Sophia nicht verwunden, die unter den Gästen ist, und mit der er auch schön an alte Zeiten anzuknüpfen, sich in der Lage sieht. Die wollen gemeinsam um Mitternacht fliehen und ein neues Leben beginnen. Leider hat auch die Generalin erkannt, dass Freundschaft allein nicht reicht, und er, also unser Michail bemüht sich zwar redlich, kann sich aber ihrer doch nicht erwehren.

Das Ganze zieht sich. Kommt dann aber nach fast drei Stunden doch zu einem Ende, da seine Frau ihre Zustimmung zur Ermordung des Gatten gibt. Denkt man. Aber es gibt noch eine Pause und einen Nachschlag.

Eine sehr schöne Inszenierung. Zu schön. Da kommt ein Mann auf die Bühne mit einer Angel, an der ein toter Hase hängt. Und es ist großartig. Warum, fragt man sich, empfindet man das nicht als Mätzchen? Keine Ahnung. Meyerhoff hält sich zwei Stangen an den Kopf. Was soll das? Er stellt einen Käfer dar, sagt er. Man könne mit einfachen Mitteln Theater machen. Stimmt. Ganz und gar wunderbar. Am Schluß aber ist er von Stangen durchsiebt, und nun fand ich das albern und überflüssig. Das Mysterium des Theaters.

Was genau ist Tschechow? Was ist Regie? (Jette Steckel) Was muss hinzugefügt werden, um das alte Stück lebendig, sprich erträglich, oder womöglich anregend zu machen? Was muss passieren, um den Zuschauer im Innersten tief aufzuwühlen? (Mey) Die Zuschauer befänden sich, sagt Meyerhoff, doch wohl alle bereits auf der Zielgeraden. Was Vernünftiges noch anzufangen sei eher nicht zu erwarten. Das Interesse an Geistigem lasse nach. Zum Beispiel Museumsbesuche. Ich will nicht in die Caspar David Friedrich-Ausstellung, sagt er. Ich will den Mann auf dem Berg nicht sehen! Genau meine Worte. Schluck.

Schauspielhaus 8/10


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