Liedzeit

Emilia Pérez

2025-01-09

Seit etwa 35 Jahren kämpfe ich, wenn auch nicht sehr leidenschaftlich, gegen die Tendenz, ein Grumpy Old Man zu werden.

Dass dieser Prozess noch nicht ganz abgeschlossen ist, merke ich daran, dass ich im Kino sitze und mich bemühe, die Geschichte nicht ganz abwegig zu finden, ja, sie nach Möglichkeit an mich herankommen zu lassen.

Da muss nun dringend eine Abschweigung her. Wie schön war es doch früher, als man sich einen Film anschauen konnte, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob und wenn ja warum man dies oder jenes oder alles zusammen nun gut oder nicht so gut finden müsse. Ein Hitchcock, oder John Ford, oder meinetwegen Preston Sturgess, oder, um nicht ganz so weit zurückzugehen, John Carpenter fängt an, man ist von der ersten Sekunde an gefesselt und lässt sich zwei Stunden lang, im vollen Vertrauen auf den Regisseur, ganz von der Geschichte tragen. Und denkt, wenn überhaupt(!), hinterher darüber nach, wie gut der Film war.

Worum geht es? Eine junge, korrupte Anwältin lässt sich darauf ein, einem üblen mexikanischen Kartellgangster zu einer neuen Identität zu verhelfen. Dieser will nicht nur ein neues Leben beginnen, sondern sich auch seinen Lebenstraum erfüllen, eine Frau zu werden.

Die Operation gelingt, und schon bald lebt sie als ihre eigene Cousine wieder in Mexiko.Und nun trifft sie die Anwältin wieder, nicht um sie zu töten, wie diese befürchtet, sondern um sie zu beauftragen, Ex-Gattin und Kinder zu ihr zurückzubringen.Die Ex-Gattin, also quasi Witwe, ist ihr nicht so wichtig, eine lesbische Liebe steht bereit, aber statt sie einfach umbringen zu lassen, begnügt sie sich damit, deren Liebhaber zusammenschlagen zu lassen, als sie, die Ex-Gattin, droht, den Liebhaber zu heiraten und mit den Kindern wegzuziehen. Schön doof. Diese Zurückhaltung wird sich rächen.

Lustigerweise empfand die Frau an meiner Seite im Kino einen kleinen Ringkampf und das Zusammenschlagenlassen des Lovers bereits als einen Akt der Aggression.

Denn, und das ist die Botschaft, der Mann an sich ist böse, aber eine Operation zur Frau macht ihn herzensgut. Und den zehntausenden Witwen Mexikos wenigstens die Leichname ihrer Männer zu beschaffen, lässt sie zur Volksheldin werden.

Das Ganze wird nun auch noch als Musical aufgeführt. Dafür gibt es sicher künstlerische Gründe, die ich hier nicht ergründen möchte.

Gut, um zur Ausgangsfrage zurük zu kommen. Für die jungen Menschen wird nichts natürlicher sein, als zu sehen, wie da Menschen im falschen Körper, sich ihr Menschenrecht erstreiten, auch wenn hier noch nicht ganz rechtmäßig erworbene Kohle dafür verwendet werden muss.

Als älterer Herr, der ich bin, dachte ich, dass das Thema, in einem neuen Körper, wenn auch des eigenen Geschlechts, in die Welt zurückkommen zu dürfen schon einmal ungleich besser behandelt wurde, in einem Frankenheimer-Film mit Rock Hudson, Seconds. Den hat kein Schwein gesehen, aber das, möchte ich betonen, ist nicht der Grund, warum der besser ist.

6/10 Filmraum


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