Liedzeit

Excelsior

2018-11-14

Letze Woche zappte ich nach langer Zeit mal wieder in eine Simpsons-Folge. Die Simpsons sitzen im Kino und schauen sich einen Marvel-Film an. Homer möchte gehen als die Credits laufen, die Kinder wissen es natürlich besser und warten auf die Post-Credit-Sequence(s). Und da sehen wir wie ein Monster sich als "Spiderman’s uncle Ben" entpuppt. "He was alive all the time and evil!" – "With great power" he says "comes no responsibiltity." (Und die andere Post-Credit-Scene ist fast noch besser.) Wie jede gute Parodie, trifft das den Kern: Alles hängt bei Marvel mit allem zusammen. Das ist es, was Marvel erfunden hat: Continuity. Und das Unerwartete ist das, was zu erwarten ist. Der Vater von all dem war Stan Lee. (Stan Lee created by: Stan Lee’s parents, wie wir aus dem Abspann lernen.) Den kannten von 20 Jahren nur Comics-Fans heute kennt ihn dank der Filme die ganze Welt. Stan Lee war (nach Einstein und Wittgenstein) die wichtigste, einflussreichste Persönlichkeit des 20. Jahrhunderts. (Von den guten natürlich nur...)

Wie jetzt auch jeder weiß, es gibt Marvel und DC. In meiner Jugend bedeutete das: Es gab Superman aus dem Ehapa-Verlag, in Farbe und die Hit und Top Comics aus dem BSV-Verlag. Die waren schwarz/weiß hatten dafür 52 Seiten. Die Top-Comics enthielten die non-Superman/Batman DC-Sachen, also Blitzmann, Grüne Laterne und so. Die Hit Comics waren die Marvel-Titel. Da hieß Spiderman noch Die Spinne und Hulk Halk. (Etwas verwirrend als der William-Verlag dann plötzlich "Hulk" herausbrachte und wir prompt die Vokale tauschten. Und bis heute denke ich, dass Hulk besser passt als Halk, was zu sehr an Falk, den edlen Ritter erinnerte.) Jedenfalls las ich am liebsten die Hit Comics und da besonders Die Spinne. Und anders als in den Superman-Heften stand da, wer das Werk verfasst hatte. In aller Regel: Stan Lee. Und Stan Lee schrieb nicht nur die Spinne und die Fantastischen Vier. Er hatte sie auch erfunden, genau wie die X-Männer (aka X-Menschen, aka X-Men), Devil-Man, Thor, Dr. Strange, Iron-Man, die Rächer und eigentlich alles, was Marvel bis heute ausmacht, Silver Surfer, Black Panther (die mit Abstand blasseste Figur, wenn ich das sagen darf), und er dachte sich die bis heute besten Schurken aus, Doctor Doom, Magneto, Dotor Octopus, den Grünen Kobold etc. etc.

Ganz unbestritten ist das nicht. Es gibt nicht wenige Menschen, die behaupten, die eigentlichen Schöpfer der Figuren seien die Zeichner gewesen, Jack Kirby und Steve Ditko im Wesentlichen. Eine absurde Behauptung, die ich nie verstanden habe. Und die lachhaft einfach zu widerlegen ist: 1. Lee hat die Rächer zur Erfolgsserie gemacht mit dem unfassbar schlechten Don Heck. (Ich erinnere mich an das Harlan Ellison Interview im Comics Journal, wo Harlan fragt, wie hieß noch mal der schlechteste Comics-Zeichner, und Groth sagt "Don Heck?") 2. Was hat Kirby ohne Lee geleistet? 2001? Kamandi? The New Gods? Alles Müll. (Kirby hat in den 40ern Captain America gemacht, okay, habe ich nie gelesen.) Der Mann war gut, aber ohne Lee, nicht viel Wert. Und Ditko? Es gab in den Spinneheften immer zwei Geschichten eine gute, aufregende mit echten lebendigen Figuren und eine offenbar alte mit hölzernen Figuren. Und die alten Geschichten waren die von Ditko. Spiderman ist nicht wegen Ditko, sondern trotz Ditko zum Erfolg geworden. Und die Verkaufszahlen gingen nach seinem Weggang mit John Romita nach oben. (Kein Power-Argument, aber auch nicht schlecht.) Es ist nicht so, dass ich im Alter nicht gelernt hätte, auch seinen Stil zu schätzen, aber es war immer Lee, der die Geschichten schrieb und den Plot lieferte. Bzw. erst Plot, dann Zeichnungen, dann Dialoge, die sogenannte Marvel-Methode. Es geht bei Comics, wie bei jeder Literatur, in erster Linie um Ideen. Und die hatte Lee.

Was machte also den Unterschied aus? Das liest man jetzt überall, die Figuren waren menschlicher. Die Spinne hat auch mal die Grippe, und Liebeskummer sowieso. Und jede Figur spricht in eigenem Ton, Thor wie ein Gott, also so wie man denkt, dass Shakespeare es gemacht hätte mit vielen "thous", Ben Grimm eher ungebildet, aber dafür mit Herz. Peter Parker mit lustigen Sprüchen, besonders beim Prügeln, aber auch voller Selbstmitleid, was für einen Superhelden wirklich ungewöhnlich war. Dann aber wieder mit erfrischendem Sarkasmus. "Was wäre ich" fragt er sich und uns "ohne meinen güldenenen Humor?" Jedenfalls nicht unser "friendly neighborhood Spider-Man". Und die Figuren entwickeln sich. Heute geht Peter zur Highschool, morgen ins College. Er zieht in eine Wohnung und in der nächsten Ausgabe wohnt er dann da. Wer einmal gestorben ist, der bleibt auch tot. (So wie Gwen und Onkel Ben. Naja, jedenfalls in der Regel.) Sehr berühmt die Drogen-Ausgaben, bei denen Peters Freund Harry Osborn drogensüchtig wird. Selbst die Erwähnung von Drogen war durch den Comics Code verboten. Lee entschied, ohne den Code zu veröffentlichn, eine mutige Entscheidung, die eine paar Jahre vorher leicht zu einem Boycott hätte führen können. Bei Superman ist jede Geschichte in sich abgeschlossen. Alle Freunde und Gegner hat es (anscheinend) schon immer gegeben. Wenn mal etwas Einschneidendes passiert (Heirat mit Lois Lane), dann ist es eine "imaginary story". Das Konzept hat auch etwas für sich, aber ist nicht der Marvel-Stil. Natürlich hatte der Marvel-Stil auch seine Schattenseite. Nach fast 60 Jahren ist Peter Parker noch immer ein junger Mann. Ein Marvel-Jahr, heißt es (Chris Claremont), entspricht sieben unserer Jahre. Nach dieser Rechnung wäre Parker jetzt in seinen Mit-Zwanzigern. Okay, aber er hätte nicht seine tausende von Abenteuern erleben können. Stan Lee hat es so ausgedrückt: We don’t want progress, we want the illusion of progress.

Irgendwann zog sich Lee aus dem aktiven, schreibenden Geschäft zurück (und prompt brachte der unglückselige Gerry Conway Gwen um). Aber er blieb Chef und erfreute die Leser mit seiner "Soapbox". Darin redete er über alles Mögliche, meist hyperbole, um neue Sachen anzukündigen. Manchmal ging es tiefer. Warum lesen wir Comics? Warum sollten wir Comics lesen? Bedeutet das, fragt Lee abschließend, dass man durch das Lesen von (Marvel-)Comics über Nacht zum Genie wird? Nein, keineswegs, sagt er. Es kann manchmal bis zu 14 Tagen dauern. Und auch wenn es zu nahe liegt: 'nuff said.


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